Körper und Seele 3

 

Körper und Seele (2014)

für Airmachine (Insturment / Skulpture geabut bei Adámek ), Video, Chor und Orchester,

Text von Sjón, Tschechischer Volktext, Vedische Mantra

SWR-Auftrag für die Donaueschinger Musiktage

Uraufführung am 19. Oktober 2014

SWR Vokalensemble Stuttgart, SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

François Xavier Roth – Leitung

Textsprachen

 

Vier verschiedene Texte unterschiedlicher Zeitepochen und unterschiedlicher geographischer Zonen werden verknüpft. All diese Texte reflektieren in unterschiedlicher Art und Weise das Verhältnis zwischen der Seele und dem Körper.

 

1.  Sjón: finnagaldur/wizzadry/schamanenzauberei (Isländisches Original, deutsche Übersetzung, tschechische Übersetzung)

 

2. Duše a tělo/Body and Soul/Körper und Seele (Volkstümlicher tschechischer Text, 19. Jahrhundert)

 

3. Viraja Homa (Auszug aus dem rituellen vedischen Mantra, Sanskrit)

 

4.  Sjón: uppstigning á fjöllum/ascension in the mountains/himmelfahrt in den bergen (Englische Übersetzung)

 

 

Die Entstehung dieses Werkes verlief parallel zur Entwicklung der Air-Machine. Vor fünf Jahren begann ich mit Luft zu experimentieren und konstruierte eine Maschine, die Staubsauger mit verschiedenen aufblasbaren Objekten, Obertonflöten und anderen selbst-gebauten, nicht temperierten Blas- und Spielzeuginstrumenten verbindet.

 

Zur gleichen Zeit las ich Gedichte von Sjón, der damals mein Nachbar im Stipendiatenhaus des DAAD in Berlin war. Besonders begeisterte mich das Gedicht schamanenzauberei und überraschenderweise stellte ich fest, dass es sich wunderbar zu dem Klang der von mir über dem Zimmer des Dichters gebauten und bespielten Air-Machine fügte.

 

Zu dieser Zeit erteilte mir Armin Köhler den Auftrag, für die Donaueschinger Musiktage, ein Werk für Chor, Orchester und die Air-Machine zu komponieren. Dafür wählte ich zwei Gedichte von Sjón aus: schamanenzauberei, in dem es um die Schwere des Körpers geht, und himmelfahrt in den bergen, das die Thematik der körperlichen Leichtigkeit aufgreift.

 

Aber nicht nur die Texte allein waren eine Quelle der Inspiration, sondern auch wie der Dichter über sie sprach. Sjón redet gerne über seine Werke, und jedes Mal, wenn er dies tat, überraschte er mich mit neuen Interpretationen seiner Texte.

 

Später kamen noch die beiden anderen Texte hinzu, welche sich ebenfalls mit der Beziehung von Körper und Seele beschäftigen: Ein volkstümlicher tschechischer Text sowie ein vedisches Mantra.

 

Das Stück beginnt mit der laponischen Schamanenzauberei (Sjón, finnagaldur). Sjón beschreibt in seinem Text ein angestammtes Ritual und eine spirituelle, laponische Schamanenzauberei, welcher die niederen Geräusche des menschlichen Körpers gegenübergestellt werden, die gleichzeitig während des Rituals erklingen.

 

Im letzten Sommer beendete ich Polednice/Die Mittagshexe für Chor und Orchester, das auf einer in Tschechien bekannten Ballade des Romantikers Karel Jaromir Erben basiert. In der gleichen Balladensammlung entdeckte ich auch Duše a tělo/Body and Soul/Körper und Seele, ein volkstümlicher tschechischer Text. Die Einfachheit und Direktheit sowie der Rhythmus des Textes haben mir sofort gefallen. Der Text ist ein Zwiegespräch der leidenden Seele mit dem toten, sündigen Körper („Körper, Körper, was hast du getan, du warst so stolz, du warst gekleidet in Gold, du gingst tanzen, vergaßt dabei Gott, ich leide, leide wegen dir!!!!“… „Seele, Seele, gib nicht mir die Schuld, du hast mich die ganze Zeit begleitet!!!“… „Ich war die ganze Zeit mit dir, Körper, aber ich konnte nicht einmal mich selbst kontrollieren“…). Ich beschloss, den Konflikt zwischen Lust und Schuld bis ins Groteske zu treiben.

 

Ein Jahr später verbrachte ich einen Monat in einem von Nithyananda geleiteten indischen Ashram. Jeden Morgen vollzogen die Mönche das Viraja Homa (ein Feuerritual der Entsagung) und das dazugehörige Mantra. Ich lernte von ihnen einige Teile dieses Mantras. Die Hindus glauben, dass alleine die Phonetik des Sanskrits einen positiven, heilenden Effekt ausübt. Mich faszinierte die Schönheit dieser altertümlichen Sprache und ihre klangliche Ähnlichkeit mit dem Tschechischen. Erst am Ende meines Aufenthalts verstand ich die Bedeutung dieses Mantras:

 

„Mit diesem Opfer sollen alle Formen meines Atems, meine Sinne und jeder Teil meines Körpers gereinigt werden…“

 

Sofort wollte ich es in die Komposition Körper und Seele einbauen, allerdings war es schwierig dieses Mantra in Musik umzusetzen. Schließlich beließ ich es nahezu in seinem originalen Zustand.

 

Das letzte Gedicht ascension in the mountains (himmelfahrt in den bergen) von Sjón geht von der Vorstellung aus, wie jemand in die Berge hinaufgestiegen ist; es zeigen sich Fußabdrücke, allerdings nur in eine Richtung; die Fußspuren verlieren sich plötzlich…

 

Aus verschiedenen Gründen entschied ich mich dafür, das Publikum in die Mitte der Orchestergruppen zu setzen:

 

Es soll die Assoziation einer Schamanenzauberei mit Atem- und Energiewellen entstehen, die schnell den gesamten Raum durchqueren. Das Publikum soll dadurch in das Innere der „Körper-Geräusche“ eintauchen. Dadurch wird das Zwiegespräch zwischen Seele und Körper und ihrer physischen Distanz durch das „Streiten“ der Musikergruppen akzentuiert, indem letztere an den unterschiedlichen Ecken des Konzertsaals positioniert werden.

 

Meine letzten drei Werke besitzen alle eine ausdrucksstarke Geschichte hinter der Musik. Das musikalische Material besteht dabei aus sehr einfachen, liedähnlichen, melodisch-rhythmischen Motiven, die von den jeweiligen Textvorlagen ausgehen.

 

Im Vergleich zu Kameny, dem vorangegangenen Werk für das SWR Vokalensemble und das Ensemble intercontemporain, ebenfalls mit einem Text von Sjón, spiele ich in diesem Werk viel mehr mit der Rhythmik und den speziellen Vokaltechniken und weniger mit den harmonischen Strukturen.

 

 

Die Air-Machine ist ein Instrument, das aus zwei Staubsaugern (einer saugt die Luft ein, der andere bläst sie heraus, beide stehen hinter der Bühne) und aus einem System von Ventilen, welche die Luftausgänge automatisch öffnen und schließen (Wasserventile, die mit Servomotoren verknüpft sind), besteht. Mit einem Gartenschlauch verbinde ich alle möglichen Windinstrumente, Spielzeuginstrumente und auch Luftrüssel, Ballons oder andere aufblasbare Dinge mit einem der Luftausgänge (beispielsweise eine Obertonflöte, Ballons verschiedenster Farbe, Form und Größe, Signalpfeifen, Flageolett-Röhren, Spielzeugdoppelrohrinstrumente, Hupen). Das gesamte Objekt, das von einem Pianisten mittels eines MIDI Keyboards bedient wird, wird zu einem surrealen Optik- und Geräusch-Theater. Die Air-Machine, mit der ich viel experimentiert habe, ist vielfach die Quelle der Musik und des Klangmaterials.

 

Ondřej Adámek

 

(Übersetzung aus dem Englischen: Nele Haller)

Die Texte

 

1.  Sjón: finnagaldur

 

spilverk

af holdi og blóði

spiladósir

úr beinum og brjóski

 

og fara skref fyrir skref og

skref fyrir skref

og fara skref fyrir skref og

skref fyrir skref

 

gegnum þrívíðan keðjusönginn

 

meðan iðrin á inntali

sneiða hjá ytra eyranu

 

hinn innri maður

hlustar á sjálfan sig

heyrir eyru sín hlusta

 

á nið brisins

á grát miltans

á þyt lungnanna

á söng nýrnanna

á slátt háræðanna

á hvísl lifrarinnar

á brak tauganetsins

á muldur smágirnisins

 

og svo framvegis

svo framvegis

framvegis

 

*

 

að maður tali ekki um blöðrupúkann

sem blæs upp hvert líffærið af öðru

og sleppir svo yfir torgið með frussi

 

 

Sjón: finnagaldur / Schamanenzauberei (Deutsche Übersetzung von Tina Flecken; die verwendeten Teile sind unterstrichen)

 

feinmechanik

aus fleisch und blut

spieldosen

aus knochen und knorpeln

 

und gehen schritt für schritt und

schritt für schritt

und gehen schritt für schritt und

schritt für schritt

 

durch einen dreidimensionalen kanon

 

während die eingeweide beim innengespräch

das äußeren ohr meiden

 

der innere mensch

lauscht sich selbst

hört seine ohren lauschen

 

dem gluckern der bauchspeicheldrüse

dem heulen der milz

dem rauschen der lungen

dem singen der nieren

dem schlagen der kapillargefäße

dem flüstern der leber

dem knarren des nervensystems

dem murmeln des dünndarms

 

und so weiter

so weiter

weiter

 

*

sprechen wir nicht vom blasenteufelchen

das ein organ nach dem anderen aufbläht

und dann prustend über den platz fliegen lässt

 

Verwendete Fragmente der tschechischen Übersetzung:

hra nástrojů

z masa z krve

hrací strojky

z kostí z kloubů

 

krok za krokem

 

Sjón: finnagaldur / wizardry (Englische Übersetzung von David McDuff))

 

musical instruments

of flesh and blood

music boxes

of bone and bristle

 

and going step by step and

step by step

and going step by step and

step by step

 

through the three dimensional part-song

 

while the bowels in inner monologue

skirt past the outer ear

 

the inner man

listens to himself

hears his ears listening

 

to the murmur of the pancreas

to the weeping of the spleen

to the rustling of the lungs

to the song of the kidneys

to the beat of the capillaries

to the whisper of the liver

to the creaking of the nerves

to the mumbling of the small intestine

 

and so forth

so forth

forth

 

*

 

to say nothing of the bladder imp

that inflates one organ after another

and lets the off farting over the square

 

 

 

2. Duše a tělo (Body and Soul/Körper und Seele, volkstümlicher tschechischer Text, 19. Jahrhundert)

 

Na krchově před kostelem

hádala se duše s tělem:

“Tělo, tělo, cos dělalo,

žes o duši nic nedbalo?

 

Cos vidělo, všeckos chtělo,

na Boha jsi nezpomnělo.

 

Tělo, tělo, tělo hříšné,

bývalo jsi v světě pyšné.

 

Chodilo jsi v stříbře, zlatě :

a já, duše, trpím za tě!

 

Chodilo jsi po muzikách,

a já vězím v těžkých mukách.”

 

“Nedávej mi, duše, viny,

bylas se mnou každou chvíli.”

 

“Byla-li jsem vždycky s tebou,

nevládla jsem sama sebou.”

 

Duše a tělo (Body and Soul/Körper und Seele, englische Übersetzung von Ondřej Adámek)

 

On the cemetery in front of the church

the soul argued with the body :

“Body, body, what did you do,

that you didn’t  care of the soul at all?

 

All what you saw, you wonted,

you didn’t remind the God.

 

Body, body, sinful body,

you used to be proud in the world.

 

You dressed in silver, in gold:

and I, the soul, I suffer for you!

 

You went to music, went to dance,

and I remain in heavy suffering.

 

“Hey, soul, don’t  accuse me,

you were with me every moment.”

 

“If I was always with you,

I couldn’t manage even myself.”

 

 


 

3. Viraja Homa (rituelles vedisches Mantra)


 

In der vedischen hinduistischen Ordnung führt eine Person, die sich der Welt entsagt, um ein Sanyasi zu werden, das Viraja Homa oder das „ universelle Opfer“ durch. Dies ist das finale Feueropfer und die Mantras dieses Opfers sind von tiefer Bedeutung. Die Mantras wurden im Maha-Narayana Upanishad des Krishna Yajurveda gefunden.

 

om pranapana-vyanodana-samana me suddhyantam jyotiraham viraja vipapma bhuyasam – svaha  

 

Mit diesem Opfer soll mein Einatmen, Ausatmen, mein tiefer Atem, mein Aufatmen und mein innerer Atem gereinigt werden. Ich bete, dass ich erstrahlen und aller blockierenden Sinne sowie ihrer Ursache, der Leidenschaften in mir, beraubt werde. Für dieses Ende möge diese Opfergabe im gesegneten Feuer angemessen dargeboten werden. Svaha!

 

om vanmanas-chaksuh srotra-jihvaghran areto buddhyakutih sankalpa me
suddhyantam jyotiraham viraja vipapma bhuyasam – svaha

 

Mit diesem Opfer sollen meine Sprache, Seele, Augenlicht, Geschmack, Geruch, Samen, Verstand, Intention und mein Ziel gereinigt werden. Ich bete, dass ich erstrahlen und aller blockierenden Sinne sowie ihrer Ursache, der Leidenschaften in mir, beraubt werde. Für dieses Ende möge diese Opfergabe im gesegneten Feuer angemessen dargeboten werden. Svaha!

 

om tvak-carma-mamsa-rudhira-medo majjasnayavo’sthîni me suddhyantam jyotiraham viraja vipapma bhuyasm – svaha

 

Mit diesem Opfer sollen meine sieben leiblichen Bestandteile – die innere und äußere Haut, das Fleisch, das Blut, das Fett, das Knochenmark, die Sehnen und die Knochen – gereinigt werden. Ich bete, dass ich erstrahlen und aller blockierenden Sinne sowie ihrer Ursache, der Leidenschaften in mir, beraubt werde. Für dieses Ende möge diese Opfergabe im gesegneten Feuer angemessen dargeboten werden. Svaha!

 

om sirah pani pada parsvapasthorudhara-jangha-sisnopastha-payavo me suddhyantam jyotiraham viraja vipapma bhuyasam – svaha  

 

Mit diesem Opfer sollen meine Glieder und  meine Körperteile wie mein Kopf, meine Hände, meine Füße, meine Flanken, mein Rücken, meine Oberschenkel, mein Bauch, meine Unterschenkel, Geschlechtsorgane, mein Rumpf und mein Anus gereinigt werden. Ich bete, dass ich erstrahlen und aller blockierenden Sinne sowie ihrer Ursache, der Leidenschaften in mir, beraubt werde. Für dieses Ende möge diese Opfergabe im gesegneten Feuer angemessen dargeboten werden. Svaha!

 

4.  Sjón: uppstigning á fjöllum (ascension in the mountains/himmelfahrt in den bergen)

 


Sjón: ascension in the mountains (Übersetzung: David McDuff)

 

car at side of road

footsteps out into moor

one way

 

footsteps stop

 

arctic grouse on tussock

sprig of heather

in beak

 

Sjón: himmelfahrt in den bergen

 

ein fahrzeug am straßenrand

fußspuren hinaus in die heide

einen anderen weg

 

die fußspuren verlieren sich

 

ein schneehuhn auf einem grashügel

heidekraut

im schnabel

 

 

 

 

 

Körper und Seele 3